„Streitkultur und Diskussionen in den Redaktionen fördern“

„Mut und Zivilcourage“ forderte Prof. Dr. Jürgen Richter als Eröffnungsredner beim Journalistentag 2008 heute in Bochum von Journalisten. Sie sollten den Fehlentwicklungen in der Medienbranche offen entgegentreten. „Sie müssen kämpfen, wirklich dafür kämpfen“, erklärte der erfahrene Medienmanager vor rund 400 Journalisten bei dem Journalistentreff des DJV Nordrhein-Westfalen in der Bochumer Jahrhunderthalle.

Kein gutes Haar ließ der ehemalige Manager der Axel Springer AG und bei Gruner & Jahr an der „Enkel-Generation“ in den Führungsetagen der Verlage und Medienhäuser, die sich angesichts der Leistungen der Generation der Zeitungslizenznehmern nach dem Zweiten Weltkrieg zu „Erbsenzählern“ entwickelt hätten. Zweifel hat Richter auch am neuen Kurs in vielen Zeitungsverlagen: „Print durch Online zu ersetzen, das ist langfristig nicht machbar.“

Ähnlich wie der Zeitungsverleger Rupert Murdoch sieht der 67-jährige Richter das Zeitungsgeschäft noch nicht als erledigt an. Die Zentralisierungen durch News- und Content-Desk hält Richter nicht für zielführend. „Diese Modelle werden nicht den Erfolg bringen, den man von ihnen erwartet.“ Viel wichtiger für die Entwicklung der Printbranche erscheint Richter eine sorgfältige Personalauswahl für Redaktionen, um dort die Streitkultur und Diskussionen zu fördern.

Speziell beim Axel-Springer-Verlag würden oft nur noch Ja-Sager in den Redaktionen versammelt. „Die Meinungsvielfalt fehlt auch intern.“ Wenn Chefredakteure sich nur noch als Produktmanager verstünden, laufe das in die falsche Richtung. Chefredakteure brauchen nach Richters Meinung „ein ganz, ganz starkes Rückgrat“. Allerdings fehle ihnen dies häufig und gefährde die innere Pressefreiheit. Umso wichtiger sei es, dass dann Gewerkschaften „laut und deutlich auf Fehlentwicklungen“ hinweisen.

Der 5. Journalistentag des DJV-NRW bietet im Laufe des Tages verschiedene Diskussionsforen rund um das Thema Journalismus an. Er endet gegen 16 Uhr.

7 Antworten zu “„Streitkultur und Diskussionen in den Redaktionen fördern“”

  1. zeilenschinder sagt:

    Streitkultur ist aber schwierig, wenn das Gegenüber unfehlbar und allwissend ist, und die Lizenz zum Kündigen hat.

  2. Hans Lassmann sagt:

    Vielleicht braucht die neue WAZ-World ja ein Redaktions-Statut, das Streitkultur und Diskussion in den Redaktionen auf eine neue, eine unabhängige Basis stellt.
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    So wie bisher kann’s doch nicht weitergehen. Und mit einem Content-Newsdesk, an dem Inhalte von denen gesetzt werden, die eingekauft werden/wurden und von denen in die Info-Kanäle gebaggert werden, die als Medienarbeiter kaum noch Redakteurarbeit machen dürfen, schon erst recht nicht.
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    Es gab übrigens schon einmal in den 70er Jahren einen solchen Versuch, ein Redaktions-Statut zu verankern.
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    Diskutieren wir da doch auch mal bei der Betriebsversammlung drüber. Zudem die Hauptforderung nicht aus den Augen verlieren: Keine Kündigungen!

  3. bloggi sagt:

    @Hans Lassmann
    Vielleicht eine gute Idee, umsetzen lässt sie sich aber wahrscheinlich nur schwer. Denn ein Redaktionsstatut würde den derzeitigen CR in seinem Selbstverständnis uneingeschränkt herrschen zu können, an die Kette legen.
    Aber genau das ist nötig, um eine Machtkonzentration innerhalb eines mächtigen Medienkonzerns zu verhindern.

  4. Über den Tisch gezogen sagt:

    Ein Content-Newsdesk birgt in der Tat erhebliche Gefahren für die innere Pressefreiheit der nachgeordneten WAZ-Strukturen.
    Wir brauchen einen Rahmen, in dem wir frei arbeiten können. Ein Redaktionsstatut, wie es Dutzende anderer Zeitungen haben, wäre ein Anfang.
    Denn sonst wird dort, wo jetzt bereits „nur“ die Schere im Kopf ist, wahrscheinlich künftig kein denkender Kopf mehr sein.
    Streitkultur bedeutet für mich auch, Kollegen zuzuhören und Gedanken reflektieren zu können – wer soll das noch leisten, bei den Vorgaben in Hinsicht auf Arbeitszeit und politischer Ausrichtung. Da scheint doch am geplanten Nachrichten-Fließband von U.R. nicht möglich zu sein.

  5. Merz sagt:

    Leider gehört der Autor dieses Artikels zur kleinen Minderheit logisch denkender Menschen. Die große Masse verwechselt hingegen streunendes Risikokapital mit soliden Geschäftsmodellen.

  6. personalix sagt:

    Ganz gleich, wie die Sache am 5. Dezember ausgehen wird: Zu Ende ist das Trauerspiel damit noch lange nicht. Die Kollegen, die dann im kommenden Jahr noch eine Stelle haben werden, müssen sich fragen, in welche dirigistische System von Newsdesks und Produktionseinheiten sie gepresst werden, und von welchen Vorgesetzten sie ausgepresst werden.
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    Das WAZ-World-Modell schreit geradezu nach zwei Dingen: Der strikten Einhaltung der Wochenarbeitszeit, also der 36,5 Stunden-Woche ohne wenn und aber. Und nach einer Verfassung für die Gewähr der inneren Pressefreiheit, nennt es Redaktionsstatut.
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    Ersteres sollten wir ab sofort üben. Reicht eure Stundenzettel ein. Was kann euch schon passieren!? Nix! Die Listen mit den Namen sind doch eh längst klar. Oder warum glaubt ihr, ziehen sich Lokalchefs, Ressortleiter und CR seit Wochen regelmäßig zum Käffchen in Essen zurück?
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    Für das andere müssen wir kämpfen. Denn die Reduzierung des journalistischen Handwerks auf Fließbandarbeit a la Reitz-Newsdesk mit Vordenkern und Zeilenkloppern, die darf es nicht geben. Sonst ist die Zeitung tot. Ihr habt doch alle selbst einen Kopf zum denken! Animals Farm lässt grüßen.

  7. I'm afraid of sagt:

    Mehr Streikultur und Diskussion, ah ja, gerne.
    Aber ohne Gesichts- und Einlasskontrolle! Und ohne den Druck durch die Angst, die Hombach, Nienhaus, Reitz und Co. erzeugen. Denn die ist eine schlechte Basis für eine fruchtbare Diskussion.
    Und die werden wir – ich fürchte – nach dem 5.Dezember auch für eine halbe Ewigkeit nicht mehr führen können – bei dieser WAZ-World-Chefredaktion und ihren Platzhaltern der Meinungs-Macht…..